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BESUCHSAUTOR-ARTIKLE
JANUAR
2009
St. Louis
25.12.800
Karl
der Große Gekrönt
Vom
Deutschen Kulturverein, St. Louis
Autor:
Ramón García-Ziemsen
Weihnachten des Jahres 800 in Rom, genauer: die Kirche St.
Peter.
Nach altem Brauch zelebriert Papst Leo III. die Messe.
Es
wird gebetet, gesungen und doch ist diesmal alles ganz
anders.
Der fränkische König Karl, der zwar damals schon
groß,
aber noch nicht der Große war, wird von Leo zum Kaiser
gekrönt.
Matthias Becher, Historiker an der Universität Bonn: “Man kann
davon
ausgehen, dass Karl der Große sich vor Beginn der
eigentlichen
Messe zum Gebet vor dem Altar niedergelegt hatte
und
sich dann zur Messe erhoben hat (...) und in dem Moment
Papst
Leo III. ihm die Krone aufs Haupt gesetzt habe und
anschließend
ihn die Römer zum Kaiser akklamiert haben.”
Mit
der Kaiserkrone empfing Karl dabei nur den Namen für
eine
Sache, die er im Grunde bereits verkörperte: Längst
herrschte
er über einen Großteil Europas. Er war der einzige,
der
genügend Macht hatte, das Papsttum zu stützen. Papsttum
und
Kaisertum, das wurden dann seit Karl die beiden
Schaltzentralen
im Mittelalter, weltliche und geistliche Macht.
Aber
was da am Tag der Geburt Jesu in Rom begann, hatte
noch
weitreichendere Konsequenzen.
Matthias Becher: “Mit Karl dem Großen, dem Weihnachtstag
des
Jahres 800, beginnt die Geschichte des Kaisertums im
Westen,
aus dem Kaisertum Karls des Großen entwickelt sich
dann
das Heilige Römische Reich Deutscher Nation, das dann
fast
1.000 Jahre bestanden hat, das erst 1806 untergeht.”
Groß
war Karl übrigens nicht nur im übertragenen Sinne. 1,82
Meter
maß er, für die damalige Zeit eine mehr als nur
“staatliche”
Größe. Sein Biograf Einhard schildert ihn als “einen
geselligen
Patriarchen, der gerne eine große Gesellschaft um
sich
versammelt, auch gerne warm badet. Jedenfalls ein
geselliger
Mann, der sogar eine etwas zu hohe Stimme gehabt
hat
und schon einen etwas nach vorne stehenden Bauch.”
Der
vermutlich von dem Bratenfleisch kam, das ihm seine Ärzte
dann
am Ende seiner 46-jährigen Regentschaft verboten
haben.
Ob er lesen und schreiben konnte, darüber streiten die
Gelehrten
noch heute, versucht hat er es wohl, notwendig wird
es
nicht gewesen sein. Schließlich war Karl in erster Linie,
trotz
aller persönlicher Hemdsärmeligkeit und trotz allem
Interesse
an den modernen Wissenschaften, die er förderte,
ein
brutaler Machtpolitiker, der auch schon mal ein Familienmitglied
um
die Ecke brachte, wenn es ihm nutzte.
Mit seiner Kaiserkrönung stellte er den Anspruch, nicht nur
über
sein Volk zu herrschen, natürlich inklusive der vielen
eroberten
Völker wie den Bayern oder den Sachsen, er will
über
den ganzen Erdkreis herrschen und fordert damit Byzanz
heraus.
Nach dem Untergang des römischen Reiches fühlte
sich
Byzanz als bruchlose Fortsetzung des Imperium
Romanum.
Von Byzanz anerkannt wird Karl erst zwölf Jahre
nach
seiner Krönung.
Von der Nordsee bis zu den Abruzzen, von der Elbe bis zum
Ebro,
vom Plattensee bis zur Bretagne erstreckte sich sein
Reich
bei seinem Tod. Das war die äußere Einheit. Aber die
innere
Einheit war genauso wichtig. Nach dem Ende Roms
war
der Westen des Reiches zerfallen. Die Städte lösten sich
auf.
Zur Zeit Karls leben in Rom 20.000 Menschen zwischen
Ruinenfeldern.
In Konstantinopel sind es Hunderttausende.
Metropolen
des Westens wie Köln haben 10.000 Einwohner,
in
Bagdad leben eine Million Menschen.
Sprich:
Karl herrschte über die Teile des Kontinents, die am
Boden
lagen. Für die innere Restaurierung des Reiches
brauchte
Karl die Kirche, einheitliche liturgische Verhältnisse
sollten
einkehren. Und dieser, um es modern auszudrücken,
ordnungspolitische
Anspruch hatte immense kulturelle und
zivilisatorische
Folgen: die karolingische Rennaissance.
Ein
Reich, ein Glaube, das war das Ziel und um die
Voraussetzungen
dafür zu schaffen “(...) musste er die Schrift
und
auch die lateinische Sprache wieder vereinheitlichen,
wieder
auf einen allgemein verständlichen Stand bringen, denn
im
Laufe des frühen Mittelalters hatten sich doch die verschiedenen
romanischen
Dialekte erheblich verselbständigt,
auch
die Schriften hatten sich auseinander entwickelt, so dass
ein
Langobarde im Süden Italiens ein angelsächsisches Buch
wahrscheinlich
nur mit großen Schwierigkeiten lesen konnte.”
Die
karolingische Minuskel wurde als Einheitsschrift eingeführt,
Bildungseinrichtungen
geschaffen. Karls Renaissance schuf
die
kulturelle Basis des europäischen Kontinents. Und Karl
wirkte
fort. Napoleon soll an seinem Grab in Aachen gesagt
haben:
“Ich bin Karl der Große”.
In Osteuropa machte er so großen Eindruck, dass sein Name,
sprachlich
umgewandelt, zur Bezeichnung für König wurde:
Krull
im russischen oder Karol im polnischen. Patriarch des
Kontinents,
Leuchtturm Europas, neuer Augustus. Mythisch
überladen
wie kaum eine andere Figur steht Karl am Beginn
des
christlichen Abendlandes. Deutsche haben ihre Geschichte
mit
Karl beginnen lassen, was genauso unsinnig ist wie der
französische
Versuch, eine nationale Geschichtsschreibung
auf
den Frankenherrscher zu gründen. Moderne Politiker sehen
in
ihm den Gründervater Europas.
Matthias Becher wünscht sich, “dass man aber auch bedenkt,
dass
die Vereinnahmung einer historischen Persönlichkeit nicht
zu
weit gehen darf, dass man etwas Abstand davon nimmt,
diese
ungebrochene Kontinuitätslinie von Karl dem Großen
zum
heutigen Europa zu ziehen. Dass man davon Abstand
nimmt,
ihn als uneingeschränkt positive Figur zu werten,
sondern
dass man auch die negativen Seiten seiner Herrschaft
wenigstens
etwas in den Blick nimmt. Aber ich wünsche mir
auch
ganz egoistisch, dass diese Jubiläen dazu führen, dass
die
mittelalterliche Geschichte im Geschichtsunterricht einen
etwas
größeren Stellenwert bekommen wird, als das heute
der
Fall ist.”
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