Anna saß mit zusammengezogenem Magen, mit
ausgetrocknetem Hals und mit Angst im Herzen in der
hinteren Bank der achten Klasse. Draußen schien die
Sonne, ihre warmen Strahlen steichelten das Mädchen,
doch es schaute nur zur Tür, wo ihr
Lieblingsliteraturlehrer bald hereinkommen musste.
Es hat vor einigen Minuten geklingelt.
Anna konnte die Pause nicht genießen. Solange ihre
Klassenkameradinnen und Freundinnen sich an der
Mauer gesonnt haben, setzte sie sich unter einen
Baum, einsam. Jetzt konnte sie den Lärm der anderen,
das laute Lachen, das Herumtoben der Buben nicht
ertragen. Sonst hatte sie damit kein Problem, doch
dieser Tag war sehr aufregend für sie.
Vor
zwei Wochen hatte die achte Klasse vom
Literaturlehrer, der einer der strengsten Lehrer
war, eine besondere Hausaufgabe bekommen.
Sie bekamen ihr Aufsatzheft, um es mit nach Hause zu
nehmen und in einer Woche die längste und schwerste
schriftliche Arbeit in ihrem bisherigen schulischen
Leben zu schreiben. Der Titel hieß: Mein
Vorbild.
Die Schüler durften ihre Bücher, Hefte von der
achten, und auch von den unteren Klassen benutzen,
doch sie mussten alle künstlerischen Mittel zum
Thema verwenden, die sie in den vier Jahren der
Oberstufe beim Herrn Lehrer gelernt haben!
Dafür
bekamen sie eine Woche.
Doch weh, wenn dem Heft etwas passiert, oder wenn
jemand nicht die 5-6 Seiten, mit der wunderbarsten
und reinsten Schrift schreibt!
Annas Lieblingsfach war Literatur. Schon im August,
als sie ihre neuen Bücher bekam und sie schön
einpackte, konnte sie es nicht aushalten, ihr
Literaturbuch durchzulesen!
Sie hatten für jedes Jahr neue Pflichtlektüre. Sie
erkundigte sich am Ende des vorigen Jahres danach
und gleich am Anfang der Ferien lieh sie das Buch in
der Dorfbibliothek aus.
Mit der Pflichtlektüre beschäftigte sie sich den
ganzen Sommer. Nach jedem Kapitel schrieb sie den
kurzen Inhalt, die Handlung, die Personen und ihre
Charakterisierung in ein kleines Heft.
Am ersten Schultag, als der Literaturlehrer mit
strengen Worten ihnen prophezeit hat: „Wer die
Pflichtlektüre fürs neue Schuljahr nicht oder nur
oberflächlich liest, der kriegt’s mit mir zu tun!”,
da saß Anna sehr erleichtert in ihrer Bank. Sie hat
im Sommer zwar weniger Zeit mit ihrer Freundinnen
verbringen können, doch die „Last” mit der
Pflichtlektüre hatte sie für
das Schuljahr los. Sie konnte sich so auf die
anderen wichtigen schulischen Sachen konzentrieren.
Sie setzte sich jeden Tag, nach dem Mittagessen
neben ihre Schwester und half ihr beim Lernen. Auch
der Nachbarssohn gesellte sich zu ihnen.
Anna kümmerte sich flichtbewusst um die Kinder.
Als Sicherheit stellte Oma immer den Besen an den
Tisch, wenn jemand von den kleineren Fratzen nicht
folgen würde, würden er oder sie von der Oma mit
dem Besen kriegen! So herrschte Ordnung in der „Klasse”!
Nur als alle Kinder mit den schriftlichen und mündlichen
Hausaufgaben fertig waren, die Gedichte, Märchen,
Lektionen gelernt
hatten, in die Hefte mit reiner, schöner Schrift
geschrieben hatten, die Bleistifte gespitzt waren
und alles
in die Schulranzen gepackt war, konnte sich Anna an
ihre eigenen Hausaufgaben machen. Sie war schon
ziemlich müde. Oma streichelte das Mädchen,
brachte ihr ein feines Pausenbrot, und erst dann
begann sie mit dem Lernen.
Auch in der Woche mit dem
schwierigen Literaturaufsatz war es nicht anders.
Sie hatte eine stressige Zeit, mit viel Druck.
Zuerst
lernte sie jeden Nachmittag mit den Jüngeren, dann
bereitete sie sich für den nächsten Schultag vor.
Das Schuljahrende war schon nahe, sie wollte ihre
guten Noten nicht verschlechtern! Erst, als alles
gelernt war, machte sie sich an den Aufsatz. Bis
Samstag, den letzten Schultag der Woche muss sie
fertig sein!
Sie hat viele Bücher gelesen, so könnten viele
Romanhelden ihr Vorbild sein!
Sie stöberte in ihren Erinnerungen, Eva Cecey,
Gergely Bornemissa, Eugen Baradlay…….die Reihe
war lang.
Sie überlegte lange, doch zuletzt warf sie diese
Idee weg.
„Meine Mutti wird mein Vorbild sein!”
Das Gedicht :”Mama” von Attila József
stand ihr damals sehr nahe. Sie fühlte
genauso, wie der große Dichter!
Elisabeth, ihre Mama war eine alleinerziehende
Mutter. An Werktagen kam sie nicht nach Hause, nur
am Wochenende. Sie bekam ein kleines Zimmer auf dem
Arbeitsplatz, wo sie an Werktagen wohnen konnte.
Solange betreuten die Oma und die Tante die kleinen
Töchter.
Anna hätte ihre Mutter immer gerne bei sich gehabt,
doch auch am Wochenende war sie sehr beschäftigt.
Es war im Haus und im Garten immer was zu tun, was
die Oma und die beiden Mädchen nicht haben machen können,
so musste Lisi halt auch am Wochenende viel schaffen.
Die Kinder hatten wenig von der Mutti gehabt!
So begann Anna von ihrer Mutti, doch von einer
Idealmutter zu schreiben.
Sie verwendete viele künstlichen Mittel, so wie es
der Herr Lehrer gefordert hat.
Zuerst schrieb sie die Skizze, dann suchte sie
Zitate und langsam stellte sich der Aufsatz im
Konzept zusammen.
Es war nur noch ein Tag bis zur Eingabe des
Aufsatzes. Am letzten Nachmittag musste Anna
mit ihrer schönsten Schrift ihre Gedanken
ins Aufsatzheft schreiben.
Sie nahm ihren besten Kuli, legte Zeitungspapier auf
den großen Hockerl, stellte diesen und ihren
kleinen Stuhl auf den Gang und begann zu schreiben.
Sie warf in den letzten Tagen viele Papierknollen
weg, bis sie endlich zufrieden war mit ihrer Arbeit.
Das Konzept ist gut gelungen.
Die Kinder der Verwandtschaft haben schon bei den
Kellern getobt, Oma lies die deutsche Zeitung und
sie konnte in aller Ruhe schreiben. Als sie fertig
war, war sie glücklich.
Endlich konnte sie nach dem dritten Durchlesen das
Heft zumachen.
Oma brachte dem müden Mädchen ein Pausenbrot.
„Iß mein
Kind einen Brocken, du bist ganz ausgemerkelt!”
Sie reichte Anna eine mit Hühnerfett bestrichene
Brotscheibe. Anna hatte schon großen Hunger. Als
sie das Brot in die Hand nahm, drehte sie sich und
ein Tropfen Fett fiel auf das zugemachte Heft.
Ein winzigkleiner Tropfen, aber Anna schaute
verzweifelt auf den Fleck.
„Der Herr Lehrer schlägt mir den Kopf ab!”
blitzten ihr die Worte des Lehrers ins Gehirn.
Sie war ratlos. „Was soll ich jetzt tun?
Die Schüler durften das Heft nicht einpacken.
Es schien, als wenn der Klecks immer dunkler und größer
wäre, ihre Angst hatte keine Grenzen.
Oma versuchte das Mädchen zu trösten, doch
vergebens. Anna fing an zu weinen. Sie schämte sich.
„Es ist nichts zu machen. Ich muss die Arbeit so
einreichen!”
Diese Nacht konnte Anna ihre Augen nicht zumachen.
Sie hat ihre wichtigste Arbeit vermasselt! Was wird
der Herr Lehrer zu dieser dreckigen Arbeit sagen?
Am nächsten Tag saß Anna mit Krampf im Magen in
der Bank.
Als der Lehrer mit dem Heftpacket in die Klasse kam,
mit ernster Miene zum Lehrertisch ging und die ganze
Klasse dunkel anschaute, senkte Anna den Kopf. Sie
konnte vor lauter Scham nicht in seine Augen schauen.
Herr Krausz begann die Hefte auszuteilen. Zu jeder
Arbeit fügte er außer den Noten auch seine strenge
mündliche Meinung hinzu. In der Klasse herrschte
Todesstille.
Als Anna an die Reihe kam, stand sie langsam auf.
„Sehr schöne Arbeit! Ausgezeichnet!
Bevor sie sich aber freuen konnte, wurde der Lehrer
laut: „Aber was ist das? „
Der Klecks war mit Rot eingekreist und ein großes
rotes Fragezeichen zierte die Frontseite ihres
Heftes.
„Weißt du, wie das Werkzeug, so der Handwerker?”
Anna brach in Weinen aus.
Erst nach vielen Jahren sprach sie mit ihrem
Lieblingslehrer, mit ihrem Vorbild und Mentor über
diesen Aufsatz, über Annas Heft. Da erfuhr sie vom
schon grauhaarigen, alten Lehrer, wie er es damals
gemeint hatte.
Ihm sind die Tränen gekommen, als er Annas Aufsatz
gelesen hat. Er kannte die Umstände, die Lage ihrer
Familie. Umso berührend fand er den Traum des Mädchens.
Aber nichts ist so gut, was nicht noch besser sein könnte.
Der Klecks kam ihm gut, einen Fehler zu finden!
Omas Satz:”Nur die leere Ähre hebt den Kopf, die
volle hängt ihn nieder!”, brennt auch immer noch
in Annas Erinnerung. Genau wie der geliebte Lehrer,
zeigte sie dem Mädchen, dass man den Erfolg mit Demütigung
annehmen soll. Nie hochnäsig sein!
Heute
ist Anna in der Rente. Als ehemalige Lehrerin sagte
sie den Satz vom Werkzeug und von der Getreideähre
oft ihren Schülern. Sie erinnert sich mit tiefster
Dankbarkeit an ihren Verwandten, die sie liebevoll
erzogen hatten, auch an ihren geliebten, geehrten
Lehrer, Sie ebneten alle mit strenger Liebe ihren
Weg.
Anna hat die gehörten Sätze für ein Leben lang
gelernt und sagt nach jedem Erfolg lächelnd ein
Dankeschön dem Gott und den gestorbenen lieben
Menschen!
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