Klara Burghardt
Nur Ein Halbes
Jahr-Nur Eine Halbe Stunde
Klara Burghardt
Email: klaraburghardt@gmail.com
Website : http://www.klaraburghardt.com/index.php?lang=de
Halb
sieben, früher Morgen.
Die
durch die offene Balkontür reindrängende Morgenfrische, das Taubengurren und
das frische Amsellied wäcken Anna auf. Die alten Fichtenbäume schauen ins
Zimmer hinein.
Die
ersten Sonnenstrahlen schlüpfen spielend durch ihre Ästen heraus und steicheln
Anna.
Sie
streckt sich aus, langsam, wie eine Katze.
Nettes
Zimmer, bequemes Bett.
In
einer Pension, auf dem ersten Stock.
Das
Haus steht in einer ruhigen Nebenstraße des Badeortes in Südungarn.
Die
Stadt ist ein weltweit bekannter Ferienort.
Hier
bauten Gisela und ihr Mann vor 30 Jahren ihre dreistöckige Pension.
Zum
Haus wurden eine kleine Wohnung für Giselas Eltern gebaut, eine Garage und
mehrere Nebengebäude.
Im
Garten stehen alte Fichtenbäume, eine Magnolia und ein großer Kirschbaum. In
der Mitte umrahmen Steine und Kletterpflanzen den kleinen Teich.
Die
Terasse, die fünf Balkons und die Fenster sind mit Pelargonien geziert.
Neben
der Garage steht ein gedeckter Sitzplatz, mit Bänken und einem großen Tisch.
Er wird mit einer Traubenreihe und mit Kletterpflanzen umrahmt. Hier können
sich Familienmitglieder und Gäste vor neugierigen Augen verstecken.
Gisela
ist eine gebürtige Salackerin und die Ehrenbürgerin vom Dorfe. Sie war die
treibende Kraft, die Hauptfigur der Heldenzeit der Gemeinde. Als Ratsvorsitzende
ließ sie eine neue Straße, eine Schule, ein Kulturhaus, ein Kino, ein
Bestattungsgebäude, eine Konditorei, eine Turnhalle und ein öffentliches Bad
bauen. Die Dorfleute waren mit Herz und Seele und mit Arbeit dabei.
Solange
Salack noch keine Straße hatte, mussten die 180 Gruber jeden Tag den Weg zur
Bahnstation der Nachbargemeinde, Kárász zu Fuß machen. Von dort wurden sie
mit einem Lastwagen zur Komloer Grube gebracht. Nach Gisellas Aufruf kamen 199
Leute aus dem Dorfe zusammen, hauptsächlich Männer und gruben 4,5 km Erdboden
für die Straße aus. Das war das erste und wichtigste Ergebnis von begeisterter
Zusammenarbeit der Dorfbewohner. Gisella verstand es, Leute für einen guten
Zweck zu begeistern.
Sie
schuf auch für viele Frauen einen Arbeitsplatz. Aus der alten Schule wurde eine
Schuhfabrik gegründet.
Sie
wohnt zwar im Ferienort, im Herzen bleibt sie aber immer eine Salackerin.
In
Anna fand sie eine gute Seelenfreundin.
Die
beiden Frauen haben viele Ähnlickeiten, was ihr Denken, ihre Verbindung zum
Heimatort, ihr Charakter betrifft.
Anna
hat am Abend aus ihren Gedichten gelesen und an diesem Tag besucht sie die alten
Eltern von Gisela.
Opa
94 Jahre alt, Lisi 86.
Sie
sitzen am Tisch und warten schon auf den Gast. Immer große Freude, wenn jemand
aus Salack kommt!
Frohes
Gespräch über das Dorfleben, über Salacker Geschehnisse, über ihre
Gesundheit.
Mit
glänzenden Augen erzählt Heinrich über seine Jugend, über sein Leben. Lisi
nickt oft mit dem Kopf und lächelt. Sie redet wenig.
Als mit trübenden Blicken, vor sich schauend Heinrich über die
Russlandsqualen erzählt, kommen auch die Tränen bei Lisi. Die vielen Jahren,
das schwere Schicksal drückt ihre Rücken.
Gisela
gesellt sich auch zu ihnen. Sie sitzt abseits und hört ohne ein Wort den Eltern
zu. Sie kennt schon die Geschichten, sie hat sie oft gehört.
Sechzig
Jahre – eine lange Zeit, seit Russland.
Und
das wahre Märchen begann …..
Dichte
Schneedecke bedeckte die Erde. Das kleine Wächterhaus schaute nur mit den
Fenstern aus dem hohen Schnee heraus. Und es hörte nicht auf zu schneien.
Kalter Wind zog über die Gleisen. Zwei schwarze Schatten schleppten sich
mühsam,
den Weg durch die Gleisen suchend, im eisigen Wind.
Eine
kleine Familie, die Mutter, der Vater und in seinem Hals die kleine Tochter.
Man
sah auf Vaters Rücken nur ein schwarzes Bällchen.
Das dicke Halstuch bedeckte auch das Gesicht des Kindes. Der Vater hielt
es fest, doch behutsam. Er ging
vorne mit dem Töchterchen, dahinter die Mutter, Richtung Heimatdorf, Salack.
Es
war nach Weihnachten, 1944.
Heinrich
arbeitete als Eisenbahnbau- Vorarbeiter.
Er
brachte vor Weihnachten für acht Tage seine kleine Familie in Obhut des außenliegenden
Wächterhauses. Der alte Wächterkollege wohnte dort. Er passte auf die Frau und
auf die Tochter auf.
Der
Mann lief täglich in sein Dörflein zurück. Er schlief Zu Hause. Doch jeden
Tag ging er arbeiten, wie wenn alles in Ordnung wäre. Tagsüber war er so mit
seiner Familie im Wächterhaus.
Die
Weihnachten kamen an. Der Vater brachte der Familie einen kleinen Weihnachtsbaum,
die Mutter schmückte ihn mit bunten Papierschleifen, mit Nüssen und Äpfeln.
Der Heilige Abend verlief im stillen Nachdenken und in Angst vor Ungewissheit.
Inzwischen
wurde es im Dorf viel über die unsichere Zukunft gesprochen. Die Leute
vermuteten, dass bald etwas geschehen wird. Das war der Grund, warum Heinrich
seine Familie im Wächterhaus versteckte.
Adam
Neumann war der Richter der Gemeinde. Er gab dem Kleinrichter, Adam Kohlmann die
Papiere, die er nach der Messe vor der Kirche vorgelesen hat. „Man müsse in
die Batschka gehen, um dort Mais zu ernten, den dort lebenden Leuten zu helfen”.
So
brachte Heinrich seine Familie ins Dorf zurück.
Er
war dreißig Jahre alt, seine Frau, Elisabeth 22, fleißige, arbeitssame,
hilfsbereite Menschen.
Am
Spätabend des 28. Dezembers 1944 wurden die Männer zwischen 18 und 45 Jahren,
die Frauen zwischen 18 und 40 Jahren, deren Namen vorgelesen waren, auf dem
„Kiefer Platz” aufgestellt. Heinrich stellte sich auch in die Reihe. Neben
ihm seine Frau. An der Hand hielt er Gisela, die 5jährige kleine Tochter.
Der
Richter organisierte Wagen und Pferde. Das Lebensmittel, die Bettwäsche, die
Kleidung und was die Leute noch mitnahmen, waren auf den Wagen. Auch die
schwangeren Frauen und die Kinder durften mitfahren.
So
fuhr Heinrichs Schwägerin, Lenka mit dem Mädchen auf einem Pferdewagen.
Er
lief mit Lisi daneben. Mit ihnen liefen Mischka, der Mann von Lenka, Anna und
Maria. Vier Mädchen und zwei Ehemänner, aus einer Familie!
In
Sásd mussten sie von Lenka Abschied nehmen.
Die
schwangeren Frauen, die Kranken und die Mütter mit Kleinkindern ließ man zurück
kehren.
Doch
Gisela war schon fünf und halb. Wegen diesem halben Jahr ließ man Lisi nicht
zurückgehen!
Sie
wollte das Kind nicht aus ihren Armen geben und drückte es fest an sich. Ein
Russe hielt seine Waffe auf Lisi gerichtet. Da kam der Salacker Richter und nahm
das verzweifelt weinende Kind der Mutter aus der Hand. Das Mädchen wehrte sich,
kratze dem Richter den Hals blutig. Er stellte es auf den Gehweg. Damit war von
seiner Seite her die Sache erledigt.
Es
war schon fast finster. Das zitternde Kind lief in der schnebedeckten Straße
herum.
Nicht
lange.
Andreas
Gossmann, der Kutscher nahm das Kind an der Hand und setzte es auf seinen
Pferdewagen. Da saß auch die Tante, die das Kind schon suchte. Sie drückte das
Mädchen ans Herz, doch konnte es nur schwer beruhigen. Beide weinten bitter.
Lenka
bedeckte es mit ihrem warmen Halstuch und wiegte es ein. Gisela schluchzte noch
lange, bis sie müde einschlief.
Die
Eltern standen mit bleischwerem Herzen, mit tränenfeuchten Augen in der neu
zusammengestellten Reihe. Aus der
Familie Jehn waren fünf Familienmitglieder
Bald
mussten die Menschen ihren Weg nach Pécs/Fünfkirchen wieder zu Fuß fortsetzen.
Jetzt schon in der Begleitug von russischen Soldaten.
In
der späten Nacht kamen sie in Pécs an.
Es
wurde schon an vielen Plätzen von der Ankunft in der Kaserne erzählt, - von
dem Stall, in dem sie auf Stroh geschlafen haben, eng, wie Heringe und in Kälte,
weil es keinen Ofen gab, - von den Judenfrauen, die gekocht haben, - von der
lieben Nonne, die mit der schlechten Nachricht kam:
”Meine
Lieben, beten wir zusammen. Morgen macht ihr euch auf einen langen Weg- nach
Odessa.”
Der
lange Zug fuhr mit in Viehwaggons gesperrten, verbitterten Verschleppten,
Richtung Russland.
Der
Zug nahm seinen Weg zuerst nach Dombóvár,- Bátaszék- Baja.
Er
fuhr durchs Heimatdörflein. Die Qual der Salacker kann man nicht beschreiben,
als sie durch den Salacker Bahnhof fuhren, ohne aussteigen zu können!
In
Baja hielt der Zug an. Die Menschen wurden auf zwei Fähren getrieben.
In der Mitte der Donau verbrachten sie eine harte Nacht.
Die
nächste Station war Szabadka.
Und
der Zug ratterte und ratterte weiter.
Kurze Pause bei der Grenzstation, Jassi
.
Nach
drei Wochen pausenlose Fahrt kamen sie in der Ukraine an.
Nach
Waggonszahl wurden sie verteilt. Heinrich mit seiner Frau und noch vier Ehepaare
aus Salack waren in den ersten Waggons. Sie mussten in dem südlichen
Zentralager bei Grosnij nicht aussteigen.
Der
Zug brachte sie noch weiter, in den kalten Ural. Auf dem hohen Berg, worauf ihr
Lager war, lag eine dichte Schneedecke. Ein Soldat führte die Gefangenen hinauf.
Sie gingen nacheinander. Heinrich lief ganz vorne und als er sich umdrehte, sah
er eine lange Reihe von schwarz gekleideten Menschen, wie eine Gänsereihe. Es
war eiskalt, sie hatten Angst, dass sie verfrieren.
Doch
da oben bekamen sie einen guten Platz. Es war endlich warm!
Die
Frauen und die Männer bekamen extra Zimmer. Die Räume waren warm und rein. Sie
konnten sich ausruhen.
Dann
mussten sie zur Arbeit.
Am
Berghang arbeiteten sie auf dem Bauplatz und beim Ausheben des 2,5 m tiefen
Grabens für die Ölleitung. Unter 2 m war es schon gut, da waren die Arbeiter
vom eiskalten Wind geschützt. Doch die steinharte Erde nahm bis Abend ihre
ganze Kraft aus.
Die
Kost wurde immer schlechter, sie spürten, ihr gutes Leben oben auf dem Berg
geht zu Ende.
Sie
mussten nach Branislau zurückkehren. In diesem Lager war keine Heizung, die Räume
hatten Erdboden. Das Essen war wenig und schlecht, Brei, Brennessel,- Krautsuppe,
rote Rüben. Die Arbeit war hart. Viele
mussten im Erzbergwerk arbeiten. Diese starben ganz früh. Die Leute bekamen
Läuse.
Viele sind an Erkältung und Unterernährung gestorben.
Leute,
die krank waren und nicht zur Arbeit haben gehen können, mussten dem Wächter
zu betteln gehen.
In
einem Zimmer schliefen 15 Männer. Am Morgen schaute man, wer sich noch regt,
wer unbeweglich ist.
Die
fünf Ehepaare, die im Zug zusammen waren, teilten auch hier das gemeinsame
Schicksal. Das gab ihnen ein wenig Kraft in der schweren Zeit.
Von
einem Paar mussten sie sich aber bald trennen. Tekla starb, ihr Mann, der „Simes
Hannes” wurde schwerkrank und durfte nach einem Jahr heimkehren.
Nach
zwei Jahren durften die Schwestern von Lisi, Anna und Maria heimkehren.
Das war eine Freude, doch Lisi, die eine kleine Tochter hinterließ,
durfte nicht heim. Das Schicksal ist oft ungerecht.
Die
4 Ehepaare, darunter Heinrich mit Lisi kamen in den Ural hinauf, nach Objawerski.
Auf
einer Wiese stand ein Zelt. Es war Mai. Unten glänzte schon der Frühling, oben
lag noch Schnee.
In
drei Wochen schmolz auch oben der Schnee und es wurde wärmer. Die Sonne ging
erst um 11Uhr unter und um 2 Uhr in der Nacht war sie schon wieder auf. Hier
lebten sie viel besser. So viel Kartoffeln haben sie noch nie gesehen!
Sie
bekamen „anständig” ausgezahlten Stundenlohn, wofür sie sich Lebensmittel
kauften. 1947 kam der neue Rubel!
Die
Welt änderte sich!
Für
den neuen Monatslohn konnte man 10 Brote und 10 Eimer Kartoffeln kaufen! Es gab
auch Fleisch!
Das
Kalbfleisch war am billigsten.
Jeden
Sonntag setzten sie sich ins Lastauto und fuhren ins Dorf. Sie kauften und
verkauften alles, wozu sie kamen.
Wer
erfinderisch war, ist am Leben geblieben, wer nicht, ist gestorben.
Heinrich
ist krank geworden, er bekam die Malaria und wog 40 kg.
Auch
Lisi ging es gesundheitlich nicht gut, sie war sehr mager.
Doch
es waren auch schöne Momente in ihrem Leben.
Wenn
sie dem Wächter 500 gr. Brot gaben, durften sie aus dem Lager. Sie unterhielten
sich mit Russlanddeutschen, sie sangen, tanzten zusammen.
Dann
kam die Nachricht: Sie dürfen heimkehren! Die ersehnte Nachricht!
Zuerst
kehrten die Reichsdeutschen, die abgemagerten Sträflinge heim.
Dann,
nach einem Monat nach den Deutschen konnten auch die Ungarndeutschen Russland
verlassen.
Am
Sonntag, den 30. November 1949, schlachtete die Mutter von Lisi in Salack eine
Gans und kochte eine feine Suppe daraus. Sie kochte an diesem Tag mehr. Warum,
wusste sie selber nicht. Sie hatte nur ein seltsames Gefühl!
Gegen
Mittag rannten zwei Mädchen, die Töchter des Wächters über das Dorf mit der
erfreulichen Nachricht: Die Russländer kommen mit dem Sonderzug um 13 Uhr an!
Heinrich
telefonierte aus Mágocs dem Wächter.
Gisela
rannte zum Bahnhof. Aus aller Seite liefen die Menschen in eine Richtung, zum
Zug!
Als
er anhielt und die Internierten ausstiegen, erblickte Gisela ihren Vater! Vor
lauter Aufregung und Freude hüpfte sie über einen Busch, um schneller zum
Vater zu kommen! Sie sprang in seinen Hals und er umarmte seine lang nicht
gesehene Tochter überglücklich.
Neben
ihm stand Lisi, doch das Mädchen erkannte die Mutter nicht. In ihren
Erinnerungen trug sie lange Haare
und eine Tracht.
Jetzt
stand eine abgemagerte Frau, mit kurzen Haaren, im Kostüm vor ihr, ganz fremd.
Das
war nicht die Mutter aus ihren Erinnerungen! Nicht die, nach derer Wärme sie
sich jeden Abend vor dem Schlafengehen sehnte. Nicht die, für die sie mit der
Oma jeden Abed betete.
Die
Tage sind für das Mädchen ohne ihre Eltern schnell vergangen. Es ging zur
Schule, lernte fleißig und nachmittags spielte es mit dem inzwischen zur Welt
gekommenen Sohn der Tante. Gisela half der Oma, schaute dem Großvater in der
Tischlerwekstatt zu und spielte mit den Freundinnen am Kirchenplatz, der ihnen
gegenüber lag.
Nur
die Abende waren schwer, als sie in ihrem Bettchen alleine blieb.
Da kam der Schmerz um ihre Eltern, die sie sehr vermisste.
Doch
der Tag ist endlich gekommen, sie lag glücklich in den Armen des Vaters.
Alles
war für das Mädchen neu, geborgen, die Welt war wieder in Ordnung, voll mit
Hoffnung.
Doch
die verlorenen fünf Jahre- eine Lücke, die niemals zugedeckt wurde.
Das
Elternhaus war, solange die Eltern in Russland waren, ein Lagerhaus. Heinrich
und Lisi mussten noch 2-3 Wochen bei den Großeltern wohnen. Dann wurde ihr Haus
zurückgekauft, ausgeräumt. Sie weißelten es aus und zogen endlich ein.
Gisela
blieb noch ein Jahr lang bei der Oma. Ihre Ausrede war:”Oben sind Mäuse im
Haus.” Nach der ersten Freude zog
sich das Mädchen zurück. Sie konnte sich nicht so leicht wieder an ihren Vater
und an die Mutter gewöhnen.
In
den letzten Schuljahren war sie aber schon mit ihren Eltern zusammen. Sie lernte
gut, so kam sie nach Baja zur Mittelschule. Heinrich
begleitete sie. Gisela lernte in dem Gebäude, in dem ihre Eltern im
damals halbfertig gebauten Haus, zusammengefroren, vor ihrer „Russlandreise”
Tage verbringen mussten. Der Vater stand mit seltsamen, gemischten Gefühlen vor
der Schule.
„Nur
eine halbe Stunde! So viel hätten wir noch in Baja warten müssen! Dann wären
wir nicht nach Russland verschleppt! Nur eine halbe Stunde!
Heinrich
war Eisenbahnarbeiter, die wurden nicht verschleppt. Davon wusste Heinrich
nichts, niemand hat es ihm gesagt. Die Verwandten erfuhren es und fuhren nach
Baja, um ihn mit seiner Frau zurückzuholen. Doch man konnte nichts mehr tun!
Ihr Zug ratterte schon seit einer halben Stunde, Richtung Russland.
„Und
wenn unsere Tochter nur ein halbes Jahr jünger gewesen wäre, hätte unser
Schicksal eine andere Wende gehabt!” seufzt der Vater beim Reden tief.
Schulabschluss,
Heirat, Lehrer, später Schuldirektor als Mann, zwei Kinder, viel Arbeit im
Heimatdorf als Vorsiztende der Gemeinde, Wohnsitz bei den Eltern. Dann Wegziehen,
Kinder erwachsen, viel Arbeit auch im Kurort, Tod des Mannes. Eltern gealtert
und heute bei der Tochter, weit vom Heimatort. In
einigen Worten ein ganzes Leben…
Heinrich
schaut nachdenklich vor sich. Ihm sind die Worte ausgegangen…
Heute
sind Heinrich und Lisi ein altes Ehepaar, das in seiner Vergangenheit lebt. In
der Vergangenheit, die voll mit Arbeit, Sorgen und Schmerzen war, aber auch
Freude ihnen brachte.
Die
fünf verlorenen Jahren brennen immer noch in den Augen, in den Bewegungen, in
den Worten, in unausgesprochenen Gedanken.
Eine
Familie, die vom Schicksal auseinandergerissen wurde, die wieder zusammenfand.
Doch die Trennungswunden heilen nie. Auch
nie den Leidensgefährten. Nicht neben dem frischen Kaffee, nicht bei Morgentanz
der Sonnenstrahlen, bei Amselsang und Blütenduft im Garten, nicht bei Liebe und
Sorgfalt der einzigen Tochter.
(
C ) 2008
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